Wir freuen uns sehr, die Gruppenausstellung Breaking the walls, dino appears ankündigen zu dürfen, welche von Leiko Ikemura kuratiert wird. Die themenbasierte interdisziplinäre Ausstellung vereint Bildende Kunst-, sowie Architekturschaffende, die mit ähnlichen Impulsen einen poetischen Zugang zur Welt finden oder kreieren. Waren etwa in der Renaissance die Disziplinen Kunst und Architektur noch miteinander verbunden, haben sich diese über die Jahrhunderte in einer Welt zunehmender Komplexität und Spezialisierung in der allgemeinen Wahrnehmung auseinanderdifferenziert, in ihren Eigendynamiken verstärkt und autonomisiert,
dennoch ist ihnen viel gemein.

Eine maßgebliche Parallele der beiden Disziplinen sieht Leiko Ikemura insbesondere in deren Prozessualität. Im Moment der Ideenfindung, des Werdens, der kreativen Schöpfung, konfiguriert sich das Formierende, welches noch keine abschließende Determination erfuhr, immer wieder neu: „Kunst hat keine andere Funktion als die, Kunst zu sein. Im Zusammenhang mit der Architektur wird sie jedoch Teil zu einer Manifestation. In ihrer Prozesshaftigkeit ist die Architektur künstlerisch involviert in dem Sinne, dass sie von ihrer Funktion befreit wird. Wenn also die Ideen träumen, ist das der Moment der Schönheit und Offenheit. Die fertigen Häuser verbergen beinahe diesen Prozess.”

Die Ausstellung widmet sich der komplexen, synästhetischen Verschränkung von Architektur und Kunst, der Ausleuchtung ihrer Grenzen und einer Reflektion ihrer Autonomieproklamationen. Zwischen Setzung und Auslassung, zwischen dem, was zu sehen ist, und dem, was dezidiert weggelassen wurde, definiert sich ein Raum, ein Gehäuse, ein Skelett, eine Skulptur, ein Körper. Damit einher geht auch eine Konstitution des „Innen“ und „Außen“. Auch in der Kunst existiert jene symbiotische, reziproke Beziehung. Ein Raum bedeutet auch die Anwesenheit eines Hohlraums. Die Kontur einer Skulptur definiert die Grenze zwischen Raum und umliegendem, oder eingeschlossenem Gegenraum.

Beide Sphären schaffen dabei nicht nur Räume, sondern brechen sie auch gekonnt. Durch Disruptionen und Versperrungen leiten sie den Blick, erzeugen eine eigene Dramaturgie im dreidimensionalen Erlebnisraum und entwickeln eine einzigartige, ephemere und nur in jenen Räumlichkeiten erlebbare Inszenierung und Narration. Sie verdecken, verzögern, verschleiern, offenbaren und betonen. Perspektiven, Lichtverhältnisse und -einfall, Lichtstärke und -farbe, Material- und Farbwahl, Raumarchitektur und architektonische Interventionen werden zu einem mobilen „morph space“, der belebt werden kann und sich in jeder Sekunde, in jeder Interaktion rekonfiguriert: “Das Haus ist ein Tier, ein lebender Organismus. Es atmet und verwandelt sich. Es weint und lacht, der Ort für Emotionen.”

Lina Bo Bardi (1914–1992), Architektin, Theoretikerin und Kuratorin, steht paradigmatisch für ein Denken jenseits disziplinärer Grenzen. Ihre Projekte verbinden soziale Verantwortung, konstruktive Schlichtheit und eine zutiefst humane Ästhetik. Ausgebildet in Italien und zuletzt tätig in São Paulo, entwickelte sie einen radikal offenen Gestaltungsansatz, der soziale Teilhabe ins Zentrum rückte. Die in der Ausstellung zu sehenden Zeichnungen und Modelle zum Museu de Arte de São Paulo (MASP) machen deutlich, dass nicht das Gebäude selbst, sondern der öffentliche Raum darunter im Fokus steht. Ihre Entwürfe zeigen eine Architektur, die nicht kontrolliert, sondern aneignungsfähig bleibt – lebendig, menschlich, durchlässig.

Tomie Ohtake (1913–2015), eine zentrale Figur der abstrakten Kunst Brasiliens, verband fernöstliche Philosophie mit der Formensprache westlicher Moderne. Ihre späten Skulpturen, wie die in der Ausstellung als Abbildung gezeigte ikonische rote Skulptur in Santos, Brasilien, zeichnen sich durch geschwungene Linien, starke Farbkontraste und eine poetische Reduktion aus – oft inspiriert von japanischer Kalligraphie. Ob als freie Setzungen im Stadtraum oder als plastische Gesten im Ausstellungsraum: Ohtakes Arbeiten entstehen aus intuitiver Klarheit und verweigern sich jeder fixierten Lesart. Ihre Werke sind plastisch gewordene Pinselstriche, poetische Interventionen im öffentlichen Raum. In ihnen materialisiert sich eine künstlerische Auseinandersetzung mit Raum und Bewegung, die an architektonische Volumina erinnert, ohne ihre Zwecklogik zu übernehmen.

Dan Graham (1942–2022) war eine Schlüsselfigur der Konzeptkunst, dessen Werk an der Schnittstelle von Architektur, Medienkunst und gesellschaftlicher Reflexion operierte. Zentral für sein Schaffen war das Verhältnis zwischen Individuum, Raum und Wahrnehmung – eine Thematik, die sich in seinen spiegelnden Pavillons ebenso manifestiert wie in frühen Text- und Fotoprojekten. Die in der Ausstellung gezeigten Papierarbeiten Video project for two shops und Video projection outside home dokumentieren konzeptuelle Interventionen aus den 1970er Jahren, in denen alltägliche Architekturen in soziale Feedbacksysteme verwandelt werden. Graham denkt Raum nicht als Form, sondern als Erfahrung – durchlässig, situativ, dialogisch.

Seit 2013 entwickelt Chen Wei seine Serie New city, in der er die Auswirkungen des rasanten Wandels chinesischer Großstädte sowie den urbanen Raum in all seiner Komplexität reflektiert. Seine fotografischen Tableaus, darunter das in der Ausstellung gezeigte New gate, das seit Kurzem Teil der Sammlung des Centre Pompidou ist und nun in der Ausstellung gezeigt wird, zeigen bühnenhaft inszenierte, menschenleere Stadträume – zwischen Hypermoderne und Verlassenheit. In ihrer artifiziellen Lichtdramaturgie und melancholischen Stille werden urbane Oberflächen zu Projektionsräumen für Erinnerung, Isolation und soziale Entfremdung.

Günther Förgs (1952-2013) Fotografie Ledoux I ist Teil seiner langjährigen Auseinandersetzung mit der
architektonischen Moderne und deren ideengeschichtlicher Aufladung, die in Tendenzen bereits in der Revolutionsarchitektur und im Klassizismus angelegt waren. Die Arbeit gehört zu einer Serie von Schwarz Weiß-Fotografien, in denen Förg ab den 1980er-Jahren Bauten der klassischen Moderne, aber auch ältere architekturtheoretisch bedeutsame Werke dokumentierte – darunter Gebäude von Adolf Loos, Mies van der Rohe oder eben Claude-Nicolas Ledoux. Förg begreift Fotografie nicht als neutrale Reproduktion, sondern als subjektiv gefilterte Form der Annäherung. In Ledoux I trifft seine charakteristische, leicht unscharfe und körnige Bildsprache auf das streng symmetrische, fast utopisch anmutende Baukonzept des Pavillon des cercles des französischen Architekten der Aufklärung, welches erst posthum 1998 auf Grundlage seiner Entwürfe realisiert wurde.

Thomas Ruff untersucht in seiner Serie l.m.v.d.r. die Bildwerdung moderner Architektur anhand von Bauten Ludwig Mies van der Rohes. So fotografierte er etwa das Haus Lange und das Haus Esters, sowie die Villa Tugendhat in Brno und den rekonstruierten Mies van der Rohe Pavillon in Barcelona. In manchen Fällen, in denen die Fotografiebedingungen vor Ort ungeeignet waren, nutzte Ruff Archivbilder und unterzog die Originalfotografien einer offensichtlichen digitalen Manipulation. Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten d.p.b.02, h.l.k.07, und h.t.b.17 unterstreichen das Spiel des Architekten mit den Übergängen zwischen Innen- und Außenräumen, arbeiten mit gezielter Bewegungsunschärfe und reagieren mit teils intensiven Farben auf die zurückhaltende Ästhetik des Modernismus– eine analytische Auseinandersetzung mit der Ikonografie der Moderne.

Thomas Schütte, einer der renommiertesten Künstler der Gegenwart, manifestierte sich seit über vier Jahrzehnten auch mit dem radikal experimentellen Bauen. In seinen fein gearbeiteten Modellen greift er Typologien öffentlicher Gebäude auf, entwirft aber auch individuelle Rückzugsräume – stets als kritische Kommentare auf gesellschaftliche Strukturen. Das in der Ausstellung gezeigte 3-D Modell Bibliothek, modell 1:10 steht exemplarisch für diese Haltung: ein autonomer Raum des Denkens, verdichtet zur skulpturalen Form. Indem Schütte seine Modelle monumentalisiert oder in begehbare Maßstäbe überführt, verschiebt er unsere Wahrnehmung von Funktion, Maß und Bedeutung.

Martin Creed transformiert mit seinen gezeigten Step paintings das Prinzip des seriellen, formal-reduzierten Farbauftrags in eine bildhafte Architektur. Ihre aufsteigende Rhythmisierung erinnert formal an Treppen, Torten oder präkolumbianische Pyramidenbauten – modulare Systeme zwischen Ritualstruktur und geometrischer Ordnung, aufgeladen mit emotionaler Resonanz und Bildwelten des Alltags. Malerei wird hier zu einer Skulptur auf der Fläche, zu einem begehbaren visuellen Raum, der Ordnung und Subjektivität zugleich verhandelt. Sie verschränken Alltagslogik mit metaphysischer Überhöhung.

Leiko Ikemura, selbst Grenzgängerin zwischen verschiedenen Medien, zeigt Hausskulpturen sowie Hauszeichnungen. Ihre hybriden Gebilde entziehen sich einer eindeutigen Zuschreibung – sie sind zugleich anthropomorph, archaisch und raumbildend. In ihnen verschränken sich die Vorstellung von Schutz und Rückzug mit tieferen, traumatisch aufgeladenen Erinnerungsräumen. Diese Skulpturen und Zeichnungen sind körperhafte Imaginationen – die zwischen dem Intimen und dem Universellen oszillieren. Ihre Arbeiten nähern sich dem Haus als urzeitlicher Figur, als Hülle, als Schwelle, als Ort emotionaler Codierung. Die Bronze House woman von 1991 gleicht einem monolithischen Block. Auch die Zeichnungen haus girl und haus tree und die Skulptur Geburt, verschmelzen Körper, Landschaft und Raum zu empfindsamen Übergangsformen. Ihre Werke sind poetische Gefäße für Erinnerung.

Philipp von Matt verbindet in seinem Schaffen Architektur, Kunst und kuratorisches Denken. In seinen präzise und poetisch komponierten Bauten verdichtet sich eine Haltung, die den Raum als atmosphärisch aufgeladenen Ort sieht, in dem Material, Licht und Proportion zu stillen Trägern von Bedeutung werden. Seine Entwurfsprozesse sind geprägt von einem modellhaften, plastischen Denken, Er entwickelt Volumina oft in Ton oder Kartonmodellen, in Analogie zur Bildhauerei, wobei der Raum aus dem Material „herausgearbeitet“ wird. Diese handwerkliche Annäherung steht in Kontrast zur heute gängigen digitalen Planung und erlaubt eine außergewöhnliche Tiefe im Umgang mit Proportion, Schichtung und Licht. Architektur wird bei ihm zu einem Medium der stillen Resonanz, die eine eigene Kunst des Sehens praktiziert.

Álvaro Siza ist Pritzker Preisträger und gilt als einer der einflussreichsten Architekten der Gegenwart. In seiner Handschrift verbinden sich tektonische Klarheit, ortsspezifische Sensibilität und skulpturale Ökonomie. Seine Bauten sind weniger Objekte als atmosphärische Situationen – sie entstehen aus einer künstlerisch gedachten Reduktion, die Raum als Resonanzraum zwischen Licht, Oberfläche und Bewegung begreift. Die in der Ausstellung präsentierten Zeichnungen und Holzskulptur zollen seinem Feinsinn Tribut. In filigranstem Duktus bewegen sich die Konturen seiner Zeichnungen über das Papier. Die gezeigte Holzskulptur De Joelhos – zu dt. „Auf den Knien“ – dagegen entfaltet eine minimalistisch-brutalistische Archaik und erscheint in nahezu andächtiger Haltung. In anmutiger Figuration wird durch das Material Holz das Wesenhafte eingefangen.

Rudolf Finisterres biomorphe Formfindungen beruhen ebenso auf parametrischer Forschung wie auf materialpoetischer Erfahrung. Seine Bauten agieren zwischen organischer Plastizität und konstruktiver Innovation – Architektur wird hier zum Ergebnis eines skulptural gedachten, ökologisch informierten Prozesses, in dem Form nicht gesetzt, sondern generiert wird. Seine Kunstwerke folgen dieser Linie. Die Zeichnungen Jellyflower und Betonsskulptur Strings entwickeln sich aus Materialspannung, statischer Logik und formaler Offenheit. Es entstehen Strukturen, die nicht entworfen scheinen, sondern wachsen – wie lebende Körper, durchlässig, energetisch.

Bei Thomas Struth ist der architektonische Raum Träger gesellschaftlicher Komplexität. Seine großformatigen Fotografien von Laboren, Forschungseinrichtungen oder urbanen Infrastrukturen – etwa des Z-pinch plasma lab, Weizmann institute, Rehovot – offenbaren die skulpturale Objekthaftigkeit technischer Räume. In der kontrollierten Komposition, der Lichtdramaturgie und der sozialen Stille wird Architektur hier zur Bühne für epistemologische Prozesse. Struth zeigt dabei, wie sich schier endlose menschliche Vorstellungskraft in plastische Gestaltung verwandelt. Er führt zu rätselhaften Orten, die sich meist im Verborgenen befinden; hochspezialisierte Apparaturen, deren Funktionalität nur von wenigen Menschen verstanden wird, deren potenzieller Einfluss auf das Leben kommender Generationen jedoch kaum abzuschätzen ist.

Leiko Ikemura offeriert uns mit dieser Ausstellung eine Lesart, die sich wegbewegt von einer anthropozentrischen Fundierung hin zu einer kosmologischen, holistischen Betrachtungsweise und sich dem Archaischen kreativer Schaffensprozesse anzunähern vermag. Philipp von Matts Beitrag zur Raumgestaltung verbindet die Komplexität der einzelnen Werke und vermag es, den Blick der Besuchenden durch minimale Veränderungen zu leiten und Materialität und Dimension elastisch zu formieren.

(Galerie Rüdiger Schöttle, Yeliz Kaiser, Zitate: Leiko Ikemura)