Die EU steht an einem kritischen Wendepunkt. Die Welt verändert sich in beispiellosem Tempo, und scheint zunehmend, dass Europa vom aktiven Gestalter seiner Zukunft zu einem bloßen Zuschauer wird. Die Vereinigten Staaten, lange Zeit der wichtigste Sicherheitsgarant Europas, verlagern ihren strategischen Fokus auf den Indo-Pazifik, wo Chinas wachsende Macht die größte geopolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts darstellt. Um Ressourcen für diese Priorität freizumachen, zeigt Washington zunehmend seine Bereitschaft, die Beziehungen zu Russland zu stabilisieren, um zu vermeiden, in Konflikte an mehreren Fronten verwickelt zu werden. Dies muss für Europa ein Weckruf sein: Es kann davon ausgehen, dass sie für ihre Sicherheit auf sich allein gestellt sind.

Falls die EU jetzt nicht handelt, riskiert sie, in geopolitische Bedeutungslosigkeit abzurutschen – ähnlich wie der Nahe Osten, eine Region, in der externe Mächte das Machtgleichgewicht bestimmen und die Zukunft lokaler Akteure beinahe ganz und gar abhängig von Gemütszuständen anderer geopolitischer Kräfte ist. Trotz ihrer wirtschaftlichen Stärke fehlt es der EU an politischer Einheit und militärischen Fähigkeiten, um seine Interessen ohne amerikanische Unterstützung zu verteidigen. Interne Spaltungen, langsame Entscheidungsprozesse und unkoordinierte Reaktionen haben die EU verwundbar gemacht. Währenddessen bauen Rivalen wie Russland und China ihren Einfluss in strategisch wichtigen Regionen aus, während selbst traditionelle Verbündete wie die USA ihre gegebenen Versprechen überdenken. Die EU steht vor einer Wahl: Entweder sie stärkt ihre strategische Autonomie, oder sie bleibt auf einem Kurs der Unentschlossenheit, der sie letztlich ins Abseits der Weltpolitik drängt und in Entscheidungsgewalt über ihre Zukunft mündet.

Um dieses Schicksal zu vermeiden, muss Europa seine Prioritäten überdenken. Zu lange haben sich Diskussionen über die Zukunft der EU auf institutionelle Gestaltung und wirtschaftliche Governance konzentriert, während die grundlegende Frage vernachlässigt wurde: Machtpolitik. Die eigentliche Herausforderung besteht nicht nur darin, ob die EU durch die Aufnahme neuer Mitglieder expandieren oder durch interne Reformen ihre Handlungsfähigkeit verbessern soll – sondern ob sie sich als geopolitische Kraft etablieren kann, die ihre eigenen Interessen verteidigt. Eine starke und kohärente Außen- und Sicherheitspolitik muss das Herzstück dieser Transformation sein. Ohne sie laufen alle anderen Reformen Gefahr, in einer zunehmend instabilen Welt an Bedeutung zu verlieren.

Doch Reformen können nur gelingen, wenn auch Verantwortung eingefordert wird. Wenn bestimmte Mitgliedstaaten die Handlungsfähigkeit der EU systematisch behindern – sei es durch das Blockieren essenzieller Reformen oder durch die Aushöhlung der Grundwerte der Union –, müssen Konsequenzen folgen. Die EU kann es sich nicht leisten, durch interne Uneinigkeit handlungsunfähig zu bleiben. Ein klarer Mechanismus für den Umgang mit anhaltender Regelverletzung – nicht nur durch temporäre Suspendierungen, finanzielle Sanktionen, sondern auch in extremen Fällen einen Austrittsprozess – muss etabliert werden, um die Funktions- und Handlungsfähigkeit der Union sicherzustellen.

Europas Schicksalsstunde ist gekommen. Die Welt wird nicht darauf warten, dass die EU ihre internen Debatten löst. Wenn sie jetzt nicht entschlossen handelt, wird sie in einer zunehmend kompetitiven globalen Ordnung an den Rand gedrängt. Der Weg nach vorne ist klar: Reformen müssen schnell erfolgen, Sicherheit muss oberste Priorität haben, und Vertragspflichten müssen durchgesetzt werden. Nur so kann Europa seine Position als führende Kraft in der internationalen Politik zurückerobern.

Existierende Debatten: Widening vs. Deepening, Souveränität, and Sicherheit

Die Debatte über die Gestaltung der Zukunft der EU ist nicht neu, doch die jüngsten geopolitischen Veränderungen haben sie dringlicher denn je gemacht. Im Zentrum dieser Diskussion steht die langjährige Frage, ob die EU vorrangig ihre Mitgliedschaft ausweiten oder ihr bestehendes Fundament stärken sollte, um effektiver zu funktionieren. Einige argumentieren, dass die Aufnahme neuer Mitglieder – insbesondere der Ukraine, Moldawiens und der Westbalkan-Staaten – entscheidend sei, um Europas geopolitische Position zu festigen. Andere, wie Frankreich zum Beispiel, warnen jedoch davor, dass eine weitere Erweiterung ohne substanzielle institutionelle Reformen zu einer weiteren Blockade der Entscheidungsprozesse führen könnte. Die EU kämpft bereits jetzt mit internen Blockaden – zum Beispiel Ungarns Unwille zu einheitlichem Auftreten gegenüber Russland – und eine Erweiterung ohne die Behebung struktureller Ineffizienzen könnte das Problem noch verschärfen.

Über die institutionellen Herausforderungen hinaus steht die Frage der europäischen Souveränität zunehmend im Mittelpunkt. Die EU arbeitet derzeit mit einem hybriden System, in dem einige Politikbereiche – wie der Handel – auf EU-Ebene geregelt werden, während andere – etwa Verteidigungs- und Außenpolitik – weitgehend in der Hand der Nationalstaaten bleiben. Doch angesichts der zunehmenden globalen Konkurrenz und wachsender externer Bedrohungen muss sich die EU fragen, ob diese Machtaufteilung noch tragfähig ist. Sollten einzelne Mitgliedstaaten weiterhin vollständige Souveränität in der Außenpolitik behalten, wenn kollektives Handeln erforderlich ist, um Sicherheitsherausforderungen zu bewältigen? Sollte die Energiesicherheit – ähnlich wie die Handelspolitik – auf EU-Ebene koordiniert werden, um die Abhängigkeit von externen Akteuren wie Russland und China zu reduzieren? Im Gegenzug kann man EU-Zentralisierungsvorhaben, wie zum Beispiel Bildungspolitik, Sozial- und Arbeitspolitik, Steuerpolitik, Marktregulierungen und mehr überdenken. Dabei steht es nicht zur Debatte keine zentralen Lösungen für gemeinsame Probleme zu finden.

Europäische Initiativen, wie Erasmus oder Vorhaben gegen Steuerdumping haben bereits einen enorm positiven Einfluss auf europäische Gesellschaften, doch es muss ein Weg gefunden werden Außenpolitik zu priorisieren. Dafür müssen eventuell Kompromisse gefunden werden. Diese Fragen betreffen nicht nur die institutionelle Effektivität, sondern entscheiden darüber, ob Europa in einer Position ist, von globalen Mächten nicht übergangen zu werden.

Doch klar bleibt; Die Sicherheits- und Verteidigungspolitik bleibt die größte Schwachstelle der EU. Während die wirtschaftliche Integration erhebliche Fortschritte gemacht hat, sind militärische und geheimdienstliche Kooperationen weiterhin fragmentiert. Verschiedene Initiativen wurden vorgeschlagen, doch keine hat bislang zu einer wirklich einheitlichen europäischen Sicherheitsstrategie geführt. Frankreich hat beispielsweise eine europäische Nukleargarantie ins Gespräch gebracht, bei der sein eigenes nukleares Abschreckungspotenzial als Sicherheitsgarantie für andere EU-Mitglieder dienen könnte – insbesondere vor dem Hintergrund der ungewissen langfristigen US-Engagements innerhalb der NATO und der kostspieligen Instanthaltung nuklearen Abschreckung. Gleichzeitig wurde das Weimarer Dreieck – eine Allianz zwischen Frankreich, Deutschland und Polen – als potenzieller Rahmen für eine verstärkte europäische Verteidigungskooperation vorgeschlagen, insbesondere angesichts der wachsenden militärischen Kapazitäten Polens und seiner strategischen Lage an der östlichen NATO-Flanke.

Weitere Initiativen wie PESCO (Ständige Strukturierte Zusammenarbeit) und der Europäische Verteidigungsfonds (EDF) zielen darauf ab, die militärische Koordination und gemeinsame Verteidigungsinvestitionen – insbesondere die fragmentierte und ineffektive national getragene Verteidigungsindustrie – zu verbessern. Die geplante schnelle Eingreiftruppe der EU, die bis 2025 einsatzbereit sein soll, ist ein Versuch, Europa in die Lage zu versetzen, Krisen schnell zu bewältigen, ohne sich ausschließlich auf die NATO verlassen zu müssen. Doch diese Bemühungen bleiben bislang unterfinanziert und unzusammenhängend, was in erster Linie darauf zurückzuführen ist, dass nationale Regierungen zögern, die Kontrolle über militärische Angelegenheiten gemeinsam in Brüssel zu delegieren.

Während diese Debatten andauern, ist eines klar: Der Status quo ist nicht länger tragfähig. Sollte Europa an einem fragmentierten System festhalten, in dem Entscheidungsprozesse langwierig und Sicherheitsbemühungen unkoordiniert bleiben, wird es sich langfristig nicht gegen Bedrohungen schützen können. Der nächste Schritt besteht darin, anzuerkennen, dass Außen- und Sicherheitspolitik im Mittelpunkt der EU-Reformagenda stehen müssen. Ohne einen einheitlichen Ansatz für diese zentralen Fragen wird weder eine institutionelle Neustrukturierung noch eine wirtschaftliche Zusammenarbeit Europa zu einer echten geopolitischen Macht machen. Die Herausforderung besteht nicht nur in der Effizienz – es geht um das Überleben in einer zunehmend feindlichen globalen Arena.

Warum Außen- und Sicherheitspolitik Priorität haben muss

Die Europäische Union hat sich lange vor allen Dingen auf wirtschaftliche Integration und regulatorische Rahmenbedingungen konzentriert, während sie eine grundlegende Wahrheit übersehen hat: In der internationalen Politik wird Macht durch Sicherheit und Souveränität definiert. Eine starke Wirtschaft ist essenziell, doch wirtschaftliche Stärke allein bedeutet nicht automatisch geopolitische Relevanz. Ohne eine einheitliche Außen- und Sicherheitspolitik bleibt die EU zwar eine wirtschaftliche Großmacht, aber mit der strategischen Wirkung einer Mittelmacht – sie reagiert auf globale Ereignisse, anstatt die Konsequenzen dieser für den eigenen Kontinent aktiv mitzugestalten.

Die Neuausrichtung der US-Strategie macht diese Realität noch deutlicher. Washington richtet seinen Fokus auf den Indo-Pazifik und erkennt an, dass der zentrale geopolitische Wettstreit dieses Jahrhunderts zwischen den Vereinigten Staaten und China stattfinden wird. Während die NATO weiterhin das Fundament der europäischen Sicherheit bildet, ist die Annahme, dass die USA Europa immer bereitwillig verteidigen werden, nicht mehr zeitgemäß. Der Krieg in der Ukraine hat Europas militärische Schwächen offengelegt und gezeigt, welche Risiken mit der Abhängigkeit von externen Akteuren für die eigene Sicherheit verbunden sind. Die EU muss entschlossene Schritte unternehmen, um ihre eigenen Verteidigungsfähigkeiten zu stärken, ihre Außenpolitik zu koordinieren und ihre strategischen Interessen zu schützen – ohne auf grünes Licht aus Washington warten zu müssen.

Ein Paradebeispiel ist die Energiesicherheit, die die Notwendigkeit einer stärkeren Außen- und Sicherheitspolitik unterstreicht. Europas frühere Abhängigkeit von russischer Energie war nicht nur eine wirtschaftliche Frage – sie war eine direkte geopolitische Schwachstelle, die Moskau Einfluss auf europäische Entscheidungsprozesse verschaffte. Die EU hat zwar große Fortschritte bei der Diversifizierung ihrer Energiequellen gemacht, doch eine Lektion ist klar: Strategische Autonomie erfordert Kontrolle über kritische Infrastrukturen und Lieferketten. Falls Europa nicht selbst über seine Energiezukunft bestimmt, droht eine neue Abhängigkeit – diesmal von anderen externen Akteuren, seien es Energieexporteure aus dem Nahen Osten, chinesische Technologieunternehmen oder die Pharmaindustrie aus den USA und Asien. Mit anderen Worten: Das Erwachsen werden der EU bedeutet ihre immense wirtschaftliche Substanz durch die Brille der Geopolitik zu betrachten und in anderen Themenbereichen wie diese realpolitisch strategisch zu agieren.

Denn Sicherheit bedeutet nicht nur militärische Stärke – sie umfasst auch technologische und industrielle Widerstandsfähigkeit. In Schlüsselbereichen wie künstlicher Intelligenz, Halbleitern und Cybersicherheit hinkt Europa sowohl den USA als auch China hinterher. Ohne gezielte Investitionen in diese Sektoren wird die EU nicht nur Schwierigkeiten haben, sich militärisch zu verteidigen, sondern auch technologisch von globalen Rivalen abhängig werden. Mario Draghis Vorschläge, wie man Europa kompetitiver gestaltet werden kann wäre eben genau eine solche Umsetzung der Geostrategie in wirtschaftspolitische Realitäten. Dazu kommt: eine verstärkte Verteidigungskooperation und ein besserer Austausch nachrichtendienstlicher Erkenntnisse sind essenzielle Schritte, um sicherzustellen, dass Europa in einer zunehmend unvorhersehbaren Welt auf eigenen Beinen stehen kann, ohne von Informationen aus dem Ausland abhängig zu sein.

Dabei ist wichtig zu verstehen, dass eine stärkere Außen- und Sicherheitspolitik nicht bedeutet, nationale Souveränität zu untergraben – sie bedeutet, anzuerkennen, dass in einer Zeit des globalen Machtwettbewerbs fragmentierte nationale Ansätze nicht genügen. Die EU hat mit ihrer gemeinsamen Handelspolitik bereits bewiesen, wie viel Einfluss sie als einheitlicher Block ausüben kann. Es ist an der Zeit, dieses Prinzip auch auf Sicherheits- und Außenpolitik zu übertragen. Ein Europa, das mit einer einzigen Stimme auf der internationalen Bühne spricht, wird in der Position sein ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen; ein gespaltenes Europa hingegen wird weiterhin in Entscheidungsprozessen an den Rand gedrängt.

Der Weg zu einer strategisch autonomen und handlungsfähigen EU wird jedoch auf Widerstand aus den eigenen Reihen stoßen. Einige Mitgliedstaaten werden notwendige Reformen weiterhin blockieren – sei es aus innenpolitischen Gründen oder um die Schwächen der EU zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen. Doch diese Blockadehaltung ist nicht nur ein bürokratisches Hindernis, sondern eine direkte Bedrohung für die Fähigkeit der EU, als globaler Akteur zu funktionieren. Wenn Europa wirklich vorankommen will, muss es sich dieser internen Blockade entgegenstellen – was uns zur Frage eines möglichen Exit-Mechanismus bringt.

Der Exit-Mechanismus: Brüssel oder Moskau

Damit die EU als starker und effektiver globaler Akteur agieren kann, muss sie Reformen umsetzen können, ohne von internen Blockaden gelähmt zu werden. Konsens und Kompromiss sind in jeder politischen Union wichtig, doch die derzeitige EU-Struktur ermöglicht es einzelnen Mitgliedstaaten, Fortschritte wiederholt zu verhindern – sei es durch Vetos in der Außen- und Sicherheitspolitik, durch die aktive Aushöhlung jener Werte, auf denen die EU gegründet wurde oder schlichtweg das Blockieren von essenziellen Reformvorhaben. Diese Blockaden sind mehr als nur ein bürokratisches Hindernis; sie sind eine direkte Bedrohung für Europas Fähigkeit, sich in einer zunehmend unvorhersehbaren geopolitischen Landschaft zu behaupten.

Die bestehenden Mechanismen zur Bewältigung solcher Blockaden sind schwach und weitgehend wirkungslos. Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union, der den Entzug von Stimmrechten bei schwerwiegenden Verstößen gegen EU-Werte erlaubt, ist schwerfällig und politisch schwer durchsetzbar. Finanzielle Sanktionen und Kürzungen von EU-Geldern wurden als Druckmittel vorgeschlagen, führen jedoch oft zu langwierigen juristischen Auseinandersetzungen, anstatt echte Veränderungen zu bewirken. Das Fehlen eines glaubwürdigen Durchsetzungsmechanismus hat es einigen Regierungen ermöglicht, die EU-Mitgliedschaft auszunutzen – sie profitieren wirtschaftlich und finanziell, während sie gleichzeitig demokratische Prinzipien missachten und notwendige Reformen blockieren.

Um eine langfristige Dysfunktionalität der EU zu vermeiden, muss ein strukturierter Mechanismus für Suspendierungen oder einen geregelten Austritt eingeführt werden. Es geht hierbei nicht darum, Länder wegen politischer Meinungsverschiedenheiten auszuschließen, sondern darum, sicherzustellen, dass wiederholte und systematische Blockaden Konsequenzen haben. Falls ein Mitgliedstaat kontinuierlich Reformen blockiert, die für die strategische Autonomie, Sicherheit und Funktionsfähigkeit der EU essenziell sind, muss ein klarer Prozess existieren, um entweder die Einhaltung der Regeln zu erzwingen oder diesen Staat von zentralen Entscheidungsprozessen auszuschließen. Dies könnte ein gestuftes Verfahren umfassen – beginnend mit finanziellen und politischen Sanktionen, über die vorübergehende Suspendierung bestimmter Mitgliedsrechte bis hin zu einem geregelten Austrittsverfahren in extremen Fällen.

Kritiker argumentieren, dass ein solcher Mechanismus die EU destabilisieren könnte, indem er erzwungene Austritte ermöglicht. Doch die Realität ist: Eine EU, die ihre eigenen Verträge, Regeln und Entscheidungen nicht durchsetzen kann, ist bereits instabil. Ein System ohne Konsequenzen für Obstruktion bleibt anfällig für interne Lähmung und wird unfähig sein, nach außen hin entschlossen zu handeln. Der Brexit hat gezeigt, dass ein Austritt aus der EU zwar kompliziert, aber keineswegs unmöglich ist. Die Lehre aus dem Brexit sollte nicht sein, dass Austritte um jeden Preis verhindert werden müssen, sondern dass die EU einen strukturierten, transparenten Prozess benötigt, um mit Staaten umzugehen, die nicht zu einem funktionierenden und kohärenten Europa beitragen wollen.

Die Einführung eines Austrittsmechanismus würde natürlich nicht nur als letztes Mittel für den Umgang mit unkooperativen Mitgliedern dienen, sondern auch die EU stärken, indem sie klarmacht, dass Mitgliedschaft ein Engagement und kein unveräußerliches Recht ist. Staaten, die von der EU profitieren wollen, müssen bereit sein, konstruktiv an ihrer Weiterentwicklung mitzuwirken. Falls ein Land die Handlungsfähigkeit der EU systematisch untergräbt – sei es durch demokratischen Rückschritt, wiederholte Vetos bei zentralen Sicherheitsfragen oder eine Annäherung an externe Rivalen – dann muss die Union über Instrumente verfügen, um wirksam darauf zu reagieren. Wir sollten unsere Einflusssphäre nicht aufgeben, aber um es mit Selenskyjs Worte auf der Münchener Sicherheitskonferenz zu verdeutlichen: „Es ist entweder Brüssel oder Moskau“. Wenn ein Mitgliedsstaat an der Weiterentwicklung des Europäischen Projekts keine Teilnahme haben möchte, muss es sich der Konsequenzen dieses Handels bewusst sein.

Europa steht an einem Scheideweg. Die globale Ordnung verändert sich, und die EU muss entscheiden, ob sie eine starke, geeinte Kraft in den internationalen Beziehungen sein oder eine fragmentierte Struktur bleiben will, die nicht zu entschlossenem Handeln fähig ist. Die Fähigkeit, Reformen umzusetzen, ohne permanent durch EU-feindliche Mächte blockiert zu werden, ist nicht nur eine Frage der institutionellen Effizienz – sie ist eine Frage des Überlebens. Wenn die EU in den kommenden Jahrzehnten ihre Selbstbestimmung nicht verlieren möchte, muss sie bereit sein, sich weiterzuentwickeln. Diese Entwicklung erfordert sowohl den politischen Willen, Sicherheit und Außenpolitik zur Priorität zu machen, als auch die institutionelle Fähigkeit, Reformen durchzusetzen. Ohne beides wird Europa weiter an Bedeutung verlieren – abgehängt in einer Welt, die sich vorwärtsbewegt, ob die EU mithalten will oder nicht.

Fazit: Kein Schachbrett geopolitischer Interessen

Die Europäische Union befindet sich an einer Zäsur. Die geopolitische Lage verändert sich rasant, und Europa kann es sich nicht länger leisten, passiv zu bleiben. Die Ära nach dem Kalten Krieg, in der sich die EU auf wirtschaftliche Integration und Soft Power konzentrieren konnte, während sie für ihre Sicherheit auf die Vereinigten Staaten vertraute, geht zu Ende. Falls die EU nicht bald die ausgerufene Zeitenwende umsetzt, droht sie, zu einem fragmentierten Wirtschaftsblock mit geringem Einfluss auf die globalen Entwicklungen zu werden, die ihre Zukunft bestimmen. Reformen sind längst kein abstraktes Diskussionsthema mehr – sie sind eine dringende Notwendigkeit.

Um am Tisch zu bleiben, muss sich die EU als geschlossene geopolitische Kraft etablieren. Die Debatten über Vertiefung versus Erweiterung, Souveränität und Sicherheit sind wichtig, doch sie müssen in konkretes Handeln münden. Die EU braucht eine einheitliche Außen- und Sicherheitspolitik, um globalen Bedrohungen überhaupt begegnen zu können. Sie muss in der Lage sein, Stärke zu zeigen – sowohl diplomatisch als auch militärisch – nicht nur als wirtschaftliche Großmacht, sondern als strategischer Akteur, der seine eigenen Interessen, Werte und Kultur schützt. Das erfordert einen realpolitischen Ansatz auch in anderen Themenbereichen. Darüber hinaus muss sie verhindern, dass interne Blockaden notwendige Reformen aufhalten. Das bedeutet, dass ein Mechanismus zur Suspendierung oder zum Ausschluss von Mitgliedstaaten eingeführt werden muss, die den kollektiven Fortschritt wegen EU-feindlicher Gesinnungen systematisch behindern.

Die Alternative zu Reformen ist nicht Stabilität – es ist Irrelevanz. Die Welt wird nicht darauf warten, dass die EU ihre internen Debatten löst. Großmächte wie die Vereinigten Staaten, China und Russland gestalten bereits die Zukunft einer neuen globalen Ordnung. Es geht hierbei nicht darum, ob Europa eine neue globale Großmacht wird, sondern, dass es sich gegen diese selbstbewusst behaupten kann, damit Europäer entscheiden können, was in Europa passiert. Europas Zukunft hängt davon ab, dass es erkennt: Durchsetzung-Fähigkeit wird nicht gewährt – sie muss behauptet werden. Ohne mutige und entschlossene Schritte riskiert die EU, Europa anderen Mächten zu überlassen. Damit wäre Europa ein 2.0 Version des Nahen Ostens: Ein weiteres Schachbrett geopolitischer Interessen.