Es ist viele Jahre her, dass wir den Film "Das Meer in mir" gesehen haben. Um die emotionalen und philosophischen Implikationen dieses Artikels besser zu verstehen, empfehlen wir Ihnen, sich den Film anzusehen. Alejandro Amenábar bietet uns dank der brillanten schauspielerischen Leistungen, insbesondere von Javier Bardem, ein wahres Kunstwerk, das mit Stil ausgezeichnet und gefeiert wurde. Wir können diesem wunderbaren Film außer Werturteilen und Spekulationen nur wenig hinzufügen, deshalb konzentrieren wir uns auf das zugrunde liegende Thema: die Sterbehilfe. Und da das Thema so aktuell und kontrovers ist, haben wir es kürzlich mit einem befreundeten Anwalt besprochen und er hat uns gesagt:

Ich habe weniger Fragen als Antworten zu diesem Thema. Der Arzt ist entsprechend seiner Eides und seiner rechtlichen Stellung dazu verpflichtet, Leben zu erhalten. Auf der anderen Seite ist der Selbsttötung nicht strafbar. Die Beihilfe zur Selbsttötung kann daher ebenfalls nicht strafbar sein, steht aber im Gegensatz zur ärztlichen Verpflichtung. Dies ist ein Dilemma, dass der Arzt nur in persönlicher Entscheidung treffen kann und muss. Im Idealfall trifft er die Entscheidung gemeinsam mit anderen Ärzten und den Angehörigen des Patienten.

Um mehr über die Angelegenheit zu erfahren, sprachen wir also mit einem Arzt, der sich sehr gut mit dem Thema auskennt. Wir waren sehr spezifisch, um das ohnehin heikle Thema nicht zu verkomplizieren, und haben uns auf die medizinischen und rechtlichen Grundlagen konzentriert, die jeder Bürger kennen sollte.

Was ist Sterbehilfe?

Man unterscheidet 4 Formen: Aktive Sterbehilfe absichtliche und aktive Herbeiführung des Todes. Beihilfe zum Suizid also Beschaffung und Bereitstellung von todbringenden Medikamenten. Indirekte Sterbehilfe, das wäre z.B. die billigende Inkaufnahme von Lebensverkürzung durch starke Opiate. Passive Sterbehilfe, das wäre der Verzicht auf lebensverlängernde Maßnahmen.

Kann jeder das machen?

Passive Sterbehilfe wurde schon immer praktiziert, man lässt den Sterbenden einfach in Ruhe, wenn er das will. Das geht zuhause gut. In der Klinik setzt es die Absprache und die einstimmige Zustimmung aller Angehöriger voraus. Indirekte Sterbehilfe ist ähnlich. Zuhause relativ einfach, in der Klinik, weil unter Beobachtung vieler mittelbar Beteiligter, nur nach klarer Absprache. GGfs gibt es ein ethisches Konsil in der Klinik.

Beihilfe zum Suizid ging offiziell nicht, wurde unter der Hand aber vereinzelt gemacht und aktive Sterbehilfe ging nie, das war Mord.

Das Dilemma ist immer den Wunsch des Patienten richtig im Kontext zu erfassen. Nicht das er in depressiver Stimmung, im falschem Glauben an ein schlechtes Leben oder dem unbegründeten Wunsch anderen nicht zur Last zu fallen, eine Entscheidung trifft, die auf falschen Grundannahmen beruht und nicht mehr korrigiert werden kann.

Wie geht es praktisch. Was tut der Arzt?

Bisher galt in Deutschland das Ärzte unter Androhung von Strafe, bis hin zum Entzug der Zulassung als Arzt, keine Sterbehilfe leisten dürfen. Das war in Paragraph 16 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte vom 14.11.1998 in der Fassung vom 16.11.2019 so geregelt. (§ 16 Beistand für Sterbende Ärztinnen und Ärzte haben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ihnen verboten, Patientinnen und Patienten auf deren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.) Das bedeutete jeder Arzt machte sich berufsrechtlich strafbar, der Sterbehilfe geleistet hat. Das bedeutete im Zweifel konnte ein Arzt strafrechtlich und zusätzlich berufsrechtlich bestraft werden. Einmal wurde er vom Staat als Offizialdelikt, das von Amts wegen verfolgt werden muss und ggfs mit einer Haftstrafe endet, bedroht und das andere Mal durch ein Berufsgericht das Geldstrafen verhängen kann oder ggfs den Entzug der Zulassung als Arzt anordnet. Sterbehilfe war also bisher ein sehr heikles Thema, das ich immer nur unter 4 Augen mit dem Patienten vertraulich besprochen habe. Ich habe nie dokumentiert was ich mit dem Patienten besprochen habe um nie in eine Falle zu tappen. Was ich dann gemacht habe, blieb zwischen mir und dem Patienten. Die Debatten in der Ärztekammer betreffs dieses Themas waren immer stark durch christliche Vorstellungen geprägt. Und selbstverständlich steht im Eid des Hippokrates auch „Ich werde niemandem, auch nicht auf seine Bitte hin, ein tödliches Gift verabreichen oder auch nur dazu raten.” Die „besten“ Medikamente für einen Suizid sind Barbiturate und die sind in Deutschland nicht mehr im Handel. Jetzt muss der Patient ggfs eine Überdosis Opiate nehmen, die aber unsicher wirken.

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.2.2020 müssen nun nach und nach alle Landesärztekammern ihre Berufsordnungen ändern. Dazu gibt es eine Bekanntmachung der Bundesärztekammer vom 25.6.2021: „Hinweise der Bundesärztekammer zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 217 StGB“. Ich füge den Text anbei. Dem kann man entnehmen was erlaubt ist.

Wie ist die Situation der Sterbehilfe in Deutschland?

Es gibt mehrere Entwürfe für ein Gesetz zur Reform der Sterbehilfe (§217 StGB). Praktisch ist noch nichts geregelt und durch die Pandemie verzögert sich einiges. Aber es wird nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts jetzt ein neues Gesetz zur Sterbehilfe kommen. Sicherlich wird kein Arzt zur Sterbehilfe verpflichtet werden können. Mir persönlich würde es schon reichen, Ärzten die sich damit beschäftigen wollen aus der Grauzone zu helfen. Denn das kann ich nach einem langen Arztleben sagen. Die meisten Patienten wünschen sich die Möglichkeit selbstbestimmt aus dem Leben scheiden zu können. Die Gewissheit das ein Arzt bereit wäre im Fall des Falles zu helfen, ist in den allermeisten Fällen schon ausreichend. Das es zur Tat käme wäre ausgesprochen selten. Das zeigen die Berichte aus Seattle und den Niederlanden.