In der Kunstgeschichte gibt es unzählige Informationsquellen, die Künstler in irgendeiner Form inspierierte. In der Romanik (im 10 Jh.), über die Renaissance und Barock bis hin zu Romantik (19 Jh.) hatten Maler und Bildhauer, welche biblische Szenen oder Hommagen an Märtyrer ausdrücken wollten, nicht nur die Bibel als Pflichtlektüre, sondern auch ein anderes Buch, das in seiner Zeit (ab dem 13 Jh) sehr populär war: die Legenda aurea (zu Deutsch Goldene Legende).

Dieses Buch ist Vater und Mutter fast aller berühmten und unbedeutenden christlichen Kunstwerke der Malerei und Bildhauerei. Dessen Autor, der Dominikaner Priester Jakobus de Voragine (er wurde später Bischof von Genua), arbeitete viele Jahren hindurch daran und es wurde um 1270 eine erste Ausgabe handschriftlich verfasst.

Das Buch ist eine Art Kalender, das auf die Abfolge der christlichen Festzeiten gerichtet ist. Und so enthält es auch die Adventszeit, Weihnachten, die Fastenzeit, Ostern, Christi Himmelfahrt, etc. Aus diesem Grund war es im frühen 13 Jh. auch in Verbindung mit Feierlichkeiten präsent. Somit wurden diese hundert vierundachtzig Seiten ein völkisch respektiertes Erbgut, in fast allen Sprachen übersetzt und erst ab 1282 auf deutsch.

Jakobus de Voragine strukturierte sein Projekt, so dass jedes Kapitel Portraits der verschiedenen Apostel, Märtyrer und Heiligen beinhaltet. Dafür musste er tief ins Herz der Bevölkerung gehen, denn einige Mythen, Glauben und Gebräuche, beispielsweise über die Apostel, wurden nur traditionell mündlich von Generation zur Generation übertragen. Seine Aufgabe mit diesem Buch war gerade diese Geschichten zu retten und in seinem Meisterwerk zu verewigen, ganz egal ob sie glaubwürdig oder fantastisch waren. Bei einigen Portraits gibt es sogar zwei Versionen, die untereinander große oder leichte Unterschiede aufweisen. Das Begehren des Autors war mit Sicherheit, beide den Leser anbieten zu können.

Bei den Kirchenaufträgen empfohlen Generaloberer – oder der für das Projekt Verantwortlicher - den Künstlern die Lektüre der Legenda aurea. Michelangelo, Caravaggio, Hendrick Terbrugghen, Mathias Stomer, Rembrandt, Tintoretto und Johannes Vermeer, lasen einst eine oder mehrere Geschichten des Buches um deren Werke zu erfassen. De Voragines Projekt enthielt auch für jede Beschreibung eine Abbildung, die seine Interpretation, Gefühle, bzw. Perspektive ausdrucken sollte. Dieses war gerade der Grund, warum das Werk, trotz einer nicht genügenden erzählerischen Qualität, durch die Jahre massiv verbreitet wurde. Latein lesen konnte nicht jeder, aber durch die popularisierte Übersetzung in allen Sprachen wurde es volksnah und machte aus ihm einen Klassiker. Auch die inzwischen entwickelte bildende Kunst, die meist für die katholische Kirche geschaffen wurde, streckte, in visueller Form und buchstäblich weltweit, die Erzählungen von Jakobus de Voragine, aus.

Als Beispiel wollte ich Caravaggio erwähnen, der einen großen Teil seiner Werke mit dem Christentum verbunden hat. Im Jahr 1599 erhielt er den Auftrag drei Gemälde im Großformat für die Contarelli Kapelle fertigzustellen. Das Thema des Kirchenauftrags war der Heilige Matthäus; so entstand Das Martyrium des Hl. Matthäus. Das Kunstwerk erhielt Details, die in der Goldenen Legende auch zu lesen sind; denn Matthäus liegt auf dem Boden und ist durch seine Kleidung als Priester zu erkennen, zwei halbnackte Männer, die auf die Taufe warteten, beobachten die Szene, ein Engel reicht Matthäus die Märtyrerpalme und rechts kommt ein Messdiener mit verängstigtem Gesichtsausdruck vom Tatort. Das zweite Werk dieser Trilogie Die Berufung des Hl. Matthäus, dessen Dramatik man an den Gesten der Figuren feststellen kann, zeigt uns den Umstand, bei dem der Apostel ausgewählt wurde. Auch wenn bei diesem Werk die Figur von Matthäus nicht wirklich zu identifizieren ist, positioniert Caravaggio Jesus auf dem rechten Rand im Schatten, Jesus mit ausgestreckter Hand. Währenddessen auf der linken Seite des Tisches drei Männer dargestellt sind, wobei einer Matthäus zu sein scheint. Einer zeigt auf sich mit dem Zeigefinger, als würde er fragen, ob er es sei. Der zweite bleibt unbeteiligt und sieht den Tisch an. Der dritte, mit roter Kleidung, streckt seinen Hals und zählt mit seinen Fingern ein paar Münzen. Er bleibt rücksichtslos, als würde ihn nichts anderes interessieren außer das Geld, was er vor sich hat. Gerade dieser Junge mit rotblauem gestreiften Hemd und gelber Weste soll, laut vieler Kunsthistoriker, den Apostel Matthäus repräsentieren, denn er war Zöllner von Beruf. Dieses Bild war für die damalige Zeit eine ganz moderne Darstellung einer biblischen Passage und führte auch mehrere Generationen dazu, Caravaggios Kunsttechnik Chiaroscuro (zur Dt. „hell-dunkel“) nachzumachen.

Auch ein weiteres Bild ist zu erwähnen Christus bei Maria und Martha von dem niederländischen Maler Johannes Vermeer. Das nach Lukasevangelium (Lk.10, 38-42) geschaffene Gemälde zeigt uns Attribute, die im 13 Jh. stark ausgeprägt waren; z.B. die Haltung Marias, die barfuß sitzt, in Demut. Der Einfluss von De Voragine in der Bildmalerei ist immens groß, nicht messbar, er kompilierte alle Informationen und verfasste sie in einer neuen Version. Dabei berücksichtigte der Priester auch die Nächstenliebe, die Märtyrer, Apostel und Heilige als Grundlage ihrer Berufung besitzen und die unbekannten Angelegenheiten, Abenteuer, Wohltaten und Leiden, die sie erlebten. Jakobus de Voragine erreichte mit seiner „Goldene Legende“ in vielen Feldern Hochachtung und seine Erzählungen wurden eine Rettung der christlichen Geschichte aus dem Mundgerede, die sich durch die Jahrhunderte festgesetzt hatte. Jedoch reichte er auch den Christen aus allen Teilen Europas die Möglichkeit, eine Neuigkeit, die bei jeder Ausgabe mit neueren lokalen Mythen anwuchs, die Flamme des Glaubens im ganzen Abendland, lebendig zu halten.