William Kentridge (*1955) gehört zu den international bedeutendsten zeitgenössischen Künstlern. Er ist nicht nur bildender Künstler, sondern auch Filmemacher und Regisseur. Seit mittlerweile mehr als drei Jahrzehnten bewegt sich sein umfassendes Schaffen durch unterschiedliche künstlerische Medien wie Animationsfilm, Zeichnung, Druck, Theaterinszenierung und Skulptur. In einer grossen Überblicksschau im Kunstmuseum Basel | Gegenwart sind mehrere Werke des Südafrikaners nun zum ersten Mal in Europa überhaupt zu sehen.

Die in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler konzipierte Ausstellung «A Poem That Is Not Our Own» beleuchtet neben frühen zeichnerischen und filmischen Arbeiten aus den 1980er und 1990er Jahren besonders den Themenkomplex Migration, Flucht und Prozession in seinem Werk. Die Ausstellung zeigt, wie bereits in Kentridges frühem zeichnerischen Œuvre diese Themen auftauchen und mit den Jahren deutlicher und opulenter hervortreten.

Beispielhaft für diese Entwicklung steht Kentridges neuestes performatives Werk «The Head & The Load» (2018), die nach der Erstaufführung im Sommer 2018 an der Tate Modern in London erstmalig in Europa im Kunstmuseum Basel als Rauminstallation gezeigt wird. «The Head & The Load» erzählt von der wenig bekannten Rolle Afrikas im Ersten Weltkrieg und realisiert mit Filmprojektionen, Schattenspielen und einem Tänzerensemble eine Prozession, die sich einer gängigen Genrezuweisung entzieht. Drei weitere Werke in der Ausstellung vertiefen die thematische Form der Prozession in Kentridges Œuvre: die Videoinstallationen «Shadow Procession» (1999), «More Sweetly Play the Dance» (2015) und «Triumphs & Laments» (2016), der ein gesamter Raum mit Zeichnungen und noch nie in Europa gezeigten Holzschnitten gewidmet ist.

Ein zweiter Schwerpunkt der Ausstellung liegt auf Kentridges Auseinandersetzung mit politischen und sozialen Konflikten in Südafrika und Europa, die ihn bereits in seinen frühen Filmen und Zeichnungen beschäftigten. Die erstmalig in Europa versammelten, grossformatigen und erdtonigen Bühnenprospekte des Theaterstücks «Sophiatown» (1986–1989) werden zusammen mit einem Dokumentarfilm in einem Raum präsentiert, der auf das breite Schaffen Kentridges als Filmregisseur und Bühnengestalter hinweist. Das Theaterstück, das aus einer Zusammenarbeit des Künstlers mit der Junction Avenue Theatre Company entstand, thematisiert den gewaltsamen Abriss und die Zwangsumsiedelung der Bewohner des kulturell bedeutenden Johannesburger Stadtteils Sophiatown zwischen 1955 und 1959.

1985 produzierte William Kentridge mit Vetkoek/Fête Galante einen seiner ersten Animationsfilme. In der Folge entwickelte er eine Methode des Filmemachens, die er als «poor man’s animation» bezeichnet und die aus fotografierten Kohlezeichnungen und Collagen besteht. Aus dieser Arbeitsweise entstand unter anderem die prominente Filmreihe der «Drawings for Projection» (1989–heute), festgehalten mit einer 35mm-Kamera. Die animierten Episoden zeigen zwei Charaktere, Soho Eckstein und Felix Teitelbaum, die in manchen Zügen wie Selbstporträts des Künstlers wirken. Neben der topographischen Verbindung zu Kentridges Heimatstadt Johannesburg sind es diese Figuren, die Kentridge in seinen Arbeiten als Folien verwendet, um die Ambivalenzen der südafrikanischen Gegenwart zu kommentieren. Der neueste Film aus der Reihe mit dem provisorischen Titel «The Mouth Is Dreaming» wird im Kunstmuseum Basel zum ersten Mal gezeigt, obwohl noch nicht ganz fertiggestellt. Er umfasst zwei Themen – er erzählt vom desolaten Zustand der Johannesburg Art Gallery als eine Reflexion über die Öffentlichen Institutionen in Südafrika und zeigt die Arbeit eines Zamazama-Minenarbeiters (auf Zulu: «nicht aufgeben!»). Es sind Bergleute, die in den von den grossen Bergbaugesellschaften verlassenen Minen rund um Johannesburg auf eigenes Risiko und unter Zuhilfenahme primitivster Werkzeuge weiter nach Goldresten schürfen. Für Kentridge ist es ein Beispiel einer Gewichtsverlagerung von vorgegebenen ökonomischen Strukturen hin zu einer immer bedeutender werdenden informellen Ökonomie.

Die später begonnene experimentelle Filmreihe «Drawing Lessons» (2009–heute) zeigt Kentridge in kurzen Sequenzen in seinem Atelier, wie er sich auf spielerische und humorvolle Weise entscheidenden künstlerischen Fragestellungen widmet. Bezeichnend für das Setting der meisten «Drawing Lessons» ist die unbewegte Kamera, die auf einen Ausschnitt in Kentridges Atelier fokussiert.

Das Basler Debüt der «Drawing Lesson No.50» mit dem Titel «Praise of Folly» (2018) bezieht sich auf die gleichnamige satirische Lehrrede von Erasmus von Rotterdam aus dem Jahr 1509, in welcher der Gelehrte Kritik an der katholischen Kirche übt. Der Humanist steht in engem Bezug zur Stadt Basel, da er unter anderem an der Universität Basel lehrte. Der Film zeigt im Hintergrund Skizzen des Künstlers, die Hans Holbeins Bildnis des Erasmus von Rotterdam zitieren, das sich im Bestand der Öffentlichen Kunstsammlung Basel befindet. Ferner sind Skizzen weiterer bekannter Werke aus der Kunstsammlung Basel zu identifizieren, etwa von Pablo Picasso, Paul Klee und Matthias Grünewald, die wie Ikonen Kentridges Atelier zieren. «Praise of Folly» thematisiert vor dem Hintergrund dieser Werke die Kunstgeschichte und ihre Meister als schöpferische Inspirationsquelle heutigen Kunstschaffens.

Die Ausstellung «William Kentridge. A Poem That Is Not Our Own» erstreckt sich über drei Etagen des Kunstmuseum Basel | Gegenwart sowie über einzelne Räume im Haupt- und Neubau des Kunstmuseums.