Rohe Intensität durchströmt den Körper und öffnet ihn für Urinstinkte; der Körper zuckt, krümmt sich und entweicht seiner Funktion und seinen Organen, hinterlässt dabei Spuren seiner dunklen Choreografie; der Geist verliert sich, verformt sich zu Wahnsinn und verwandelt sich in eine Pforte, die zur ungeschönten Wahrheit führt; Sprache bricht zusammen, Gesten bilden Bedeutung jenseits der Worte und beschwörender Unsinn löst sich in Klagen auf; die Absurdität der Wiederholung formt sich zu einer nicht enden wollenden Trance; der Avatar, der Schauspieler, das Double ahmen nicht nach, sondern übertreffen die Realität und werden zu ihrem intensivierten Gegenentwurf; die Malerei legt rohe Wunden offen, um den Betrachter zu manipulieren – ihre dichte schwarze Finsternis verblasst zu Erhabenheit; Geburt und Tod werden als absurde mechanische Rituale nachgespielt; Maschinen verwandeln sich in grausame Bediener – sie befehlen, anstatt zu dienen; Totems aus Lumpen, Blut und Trauer werden zu Waffen einer heiligen rituellen Magie; die Zeit wird seltsam und elastisch, alle Hierarchien lösen sich auf und alle Systeme brechen zusammen; alle Egos splittern auf; es gibt keine Katharsis – Grausamkeit und Tragödie sind nicht endgültig – sie reproduzieren sich, mutieren, verschlingen sich selbst, um in einer unaufhörlichen Spirale wiedergeboren zu werden.

Die Ausstellung Theatre of cruelty (Theater der grausamkeit) bezieht sich auf die gleichnamige experimentelle Theatertheorie, die der französische Künstler Antonin Artaud (1896-1948) in den 1930er Jahren entwickelt hat. In seiner radikalen Vorstellung sollte das Theater keine konventionellen Fiktionen darstellen, sondern vielmehr den Zuschauer in den Zustand einer geistigen Katharsis versetzen. Zu diesem Zweck müsse es die Vernunft zugunsten des Körpers, der Sinne und extremer Emotionen unterlaufen – ähnlich wie bei einem Exorzismus oder einem alten Ritual. Für Artaud bedeutete „Grausamkeit“ nie nur ein blutrünstiges Spektakel, sondern vielmehr eine unerbittliche Intensität – die Notwendigkeit, das Dasein mit seiner Rohheit, seinem Leiden, seiner Ekstase und seiner Beziehung zum Tod zu konfrontieren. Heute, in einer Welt, in der Schmerz ästhetisiert und Leiden als Content konsumiert wird, ist sein Aufruf, den Vorhang zu zerreißen und das darunter Verborgene zu enthüllen, aktueller als je zuvor.

Indem sie Artauds Vision in die Gegenwart versetzt, versammelt die Ausstellung Künstler:innen und Künstler verschiedener Generationen und Disziplinen, deren Arbeiten vom radikalen Erbe Artauds geprägt sind. Über Theater, Performance, Klang, Malerei, Skulptur, Video und Installation treten die Werke von Ed Atkins, Angélique Aubrit & Ludovic Beillard, Tobias Bradford, Romeo Castellucci, Pan Daijing, Tadeusz Kantor, Liza Lacroix und Michel Nedjar in einen Dialog mit den Tagebüchern und selten gezeigten Zeichnungen Antonin Artauds. Die ausgestellten Arbeiten verweigern jede narrative Bequemlichkeit; sie sind verstörend und irritierend und verkörpern existenzielle Melancholie, zerrissene Sprache, die Kraft der Geste und die ursprüngliche Energie, ganz im Sinn von Antonin Artaud.

(Text von Agnes Gryczkowska)