In fast hundert Jahren Fußball-Weltmeisterschaften – das 100-jährige Jubiläum der ersten WM1 wird 2030 gefeiert – hat die Welt nicht nur großartige Spiele, sondern auch erstaunliche Rekorde, außergewöhnliche Mannschaften und einmalige Spieler erlebt. Ganz unabhängig von anekdotischen Ereignissen wie dem Raub des Jules-Rimet-Pokals oder dem vom brasilianischen Spieler Garrincha adoptierten Hund während der WM 1962 bleibt die Geschichte des Turniers faszinierend. Ein besonders bemerkenswerter Rekord ist das seltene Kunststück, die Weltmeisterschaft sowohl als Spieler als auch als Trainer zu gewinnen – ein Erfolg, der bisher nur drei Persönlichkeiten gelungen ist:
Mario Zagallo (1958 und 1962 als Spieler, 1970 als Trainer),
Franz Beckenbauer (1974 als Spieler, 1990 als Trainer) und
Didier Deschamps (1998 als Spieler, 2018 als Trainer).
Alle drei wurden mit derselben Nationalmannschaft, für die sie einst spielten, auch als Trainer Weltmeister – eine Besonderheit, denn heutzutage ist es durchaus üblich, dass Nationaltrainer fremde Länder betreuen. Umso bemerkenswerter ist die Treue dieser drei Legenden, die als Spieler wie als Trainer mit „ihrem“ Team triumphierten – und damit über die Geschichte der WM hinausragen.
Mario Zagallo
Der brasilianische Spieler Mario Zagallo hatte eine außergewöhnliche Fußballkarriere. Im Vergleich zu seinen Mitstreitern Beckenbauer und Deschamps war er sogar noch erfolgreicher: Bevor er Weltmeistertrainer wurde, war er bereits zweimal in Folge (1958 und 1962) Weltmeister als Spieler. Zur Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko war Zagallo zunächst Vereinstrainer bei Botafogo und hatte dort erste Erfolge als Trainer gefeiert. In jener Zeit wurde Fußball mit einer besonderen Mischung aus Strategie und Technik gespielt – zwei Elemente, die die brasilianische Nationalmannschaft perfekt verkörperte. Trainer Zagallo verstand es meisterhaft, dieses Potenzial zu lenken und zu verwalten.
Was jedoch bis heute wenig beleuchtet ist: Wie kam Mario Zagallo eigentlich zur Nationalmannschaft, obwohl seine Trainerkarriere noch sehr kurz war? Hier tritt der Name João Saldanha aus dem Schatten. Er war der eigentliche Architekt des brasilianischen Teams – ein fähiger, aber umstrittener Trainer, dessen Leistung in der WM-Qualifikation legendär war: Bis auf ein Spiel erzielte seine Mannschaft in jedem Spiel mehr als fünf Tore. Für viele – Kritiker wie Fans – war Saldanha der logische Weltmeister-Trainer.
Doch seine politische Überzeugung als bekennender Kommunist war dem damaligen Militärregime in Brasilien ein Dorn im Auge. Dieses sah den Fußball als Mittel zur nationalen Selbstdarstellung – möglichst kontrolliert, „unpolitisch“ und im Sinne der Staatspropaganda. Der Konflikt eskalierte, als sich Saldanha der Einmischung der Militärs in Spielerauswahl und Kaderplanung widersetzte. Saldanha war nicht nur politisch unbequem, sondern auch als Persönlichkeit konfliktfreudig. Im März 1970, trotz einer herausragenden Qualifikation, wurde er wegen Differenzen mit der Führung entlassen. Der brasilianische Fußballverband CBF ernannte daraufhin Mario Zagallo zum neuen Nationaltrainer – einen beliebten und politisch unverdächtigen Mann. Für das Regime war Zagallo die perfekte, verlässliche Lösung.
Zagallo übernahm die Mannschaft kurz vor dem Turnier und führte Brasilien zum Titelgewinn bei der WM 1970 in Mexiko. Im Endspiel gegen Italien setzten sich die Südamerikaner souverän mit 4:1 durch. Zwar gehörten viele seiner Spieler einer neuen Generation an, doch sie wurden zu Legenden: darunter Gérson, Tostão, Jairzinho, Rivellino, Piazza und natürlich Pelé.
Mit diesem Erfolg bescherte Zagallo seinem Land den dritten WM-Titel – und Pelé wurde damit der erste Spieler mit drei gewonnenen Weltmeisterschaften. Zugleich wurde Zagallo selbst der erste Mensch, der den WM-Titel sowohl als Spieler als auch als Trainer gewann.
Franz Beckenbauer
Zwanzig Jahre später, bei der Weltmeisterschaft 1990 in Italien, trat der legendäre Spieler und Trainer Franz Beckenbauer mit großem Vertrauen in seine Mannschaft an. Der Kader unterschied sich kaum von dem der WM 1986 in Mexiko, bei der Deutschland das Finale gegen Argentinien mit 2:3 verloren hatte. In Italien trat die Mannschaft mit viel Selbstbewusstsein an – nicht zuletzt wegen der starken Leistungen ihrer Spieler. Viele deutsche Nationalspieler standen bei europäischen Spitzenklubs unter Vertrag, einige auch in der italienischen Liga. Diese Tatsache sollte sich als Vorteil erweisen, denn sie kannten sowohl die physischen Bedingungen der Spielfelder als auch die Atmosphäre in den Stadien. Damals galt die Serie A als die teuerste und leistungsstärkste Liga der Welt.
Ein Symbol für diese Ära war der Transfer von Diego Maradona im Jahr 1984 vom FC Barcelona zum SSC Neapel für damals sensationelle 13 Millionen D-Mark. Auch der Wechsel von Jürgen Klinsmann vom VfB Stuttgart zu Inter Mailand für 17 Millionen D-Mark unterstrich die finanzielle Macht der italienischen Vereine. Diese wirtschaftliche Stärke beruhte auf enormen Investitionen, die in anderen Ligen kaum vorstellbar waren. Hinzu kamen bedeutende Sponsoren und lukrative Fernsehrechte, die die Clubs unterstützten – etwa: Mediolanum (Finanz- und Versicherungskonzern von Silvio Berlusconi), Parmalat (Molkereikonzern) und Barilla (Nahrungsmittelunternehmen).
Zu Mediolanum gehörte auch Mediaset, die erste private Sendergruppe Italiens, die unter anderem Inter Mailand sponserte. Diese finanzielle Attraktivität zog viele der besten Spieler Europas und Südamerikas in die Serie A. Darunter: Ruud Gullit, Marco van Basten und Frank Rijkaard (Niederlande), Michel Platini (Frankreich), Zico und Sócrates (Brasilien), Zvonimir Boban (Jugoslawien)3, Glenn Strömberg (Schweden), Paul Gascoigne (England), Herbert Prohaska (Österreich) und Erwin Vandenbergh (Belgien).
Auch im Finale der WM 1990 trafen sich alte Bekannte: Deutschland und Argentinien, wie schon im Endspiel von 1986. Doch diesmal standen sich viele Spieler gegenüber, die sich bereits aus der Serie A kannten; für Deutschland: Thomas Berthold, Rudi Völler, Andreas Brehme, Jürgen Klinsmann, Lothar Matthäus; für Argentinien: Néstor Lorenzo, Roberto Sensini, Diego Maradona, Pedro Troglio, Abel Balbo, Gabriel Calderón, Gustavo Dezotti und Claudio Caniggia. In der Saison 1989/90 wurde Maradonas SSC Neapel italienischer Meister und gewann den Scudetto4, was die Rivalität im WM-Finale zusätzlich anheizte.
Franz Beckenbauer führte seine Mannschaft durch ein starkes Turnier. Dennoch waren sich viele Fußballexperten einig, dass der im Finale gegebene Elfmeter nach einem Foul an Rudi Völler umstritten war. Nach dem Schlusspfiff – Deutschland gewann mit 1:0 – stellte Beckenbauer einen historischen Rekord ein: Wie Mario Zagallo war er nun sowohl als Spieler (1974) als auch als Trainer (1990) Weltmeister geworden.
Didier Deschamps
Achtundzwanzig Jahre nach dem Titelgewinn von Franz Beckenbauer bei der WM 1990 trat die französische Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland als Titelkandidat an. Didier Deschamps, der 1998 als Spieler und Kapitän der Équipe Tricolore Weltmeister geworden war, betreute das Team bereits seit 2012 als Nationaltrainer. Bei der WM 2014 in Brasilien hatte Frankreich unter seiner Leitung das Viertelfinale erreicht, verlor jedoch gegen Deutschland. Zwei Jahre später, bei der EM 2016 im eigenen Land, stand Deschamps mit seiner Mannschaft im Finale – musste sich dort allerdings Portugal geschlagen geben. Deschamps überzeugte vor allem durch seine Fähigkeit, ein kompaktes Mittelfeld mit einem variablen, schnellen Angriffsspiel zu verbinden. Sein System lebte von intelligenten Umschaltbewegungen und der Integration junger, dynamischer Spieler – etwa Lucas Hernandez und Benjamin Pavard, die sich bei der WM 2018 als Schlüsselspieler erwiesen.
Ein erster Vorgeschmack auf Deschamps' Arbeit war die souveräne Qualifikationsrunde zur Weltmeisterschaft. Frankreich setzte sich als Tabellenerster der Gruppe A durch und ließ dabei die Niederlande, Schweden, Bulgarien, Luxemburg und Weißrussland hinter sich. Der Höhepunkt war das 4:0 gegen die Niederlande in Paris und der Tiefpunkt; das enttäuschende 0:0 gegen Luxemburg – obwohl das Hinspiel mit 3:1 gewonnen worden war. Die Top-Torschützen der Qualifikation waren Antoine Griezmann und Olivier Giroud mit jeweils vier Treffern. Beide waren zentrale Figuren im Offensivsystem der Équipe – allen voran Griezmann, der bereits bei der EM 2016 mit seinen zwei Toren im Halbfinale gegen Deutschland (2:0) glänzte und seine Klasse über Jahre bei Atlético Madrid unter Beweis stellte.
Unter Deschamps entwickelte Frankreich eine taktisch disziplinierte und körperlich robuste Mannschaft. Der Trainer setzte nicht auf attraktiven Ballbesitzfußball, sondern bevorzugte ein hybrides System, das sich zwischen Ballkontrolle und Konterspiel bewegte. Es war kein reiner Tiki-Taka, aber auch kein klassischer Konterfußball – vielmehr eine pragmatische und äußerst effiziente Mischung. Er setzte auf das System 4-3-3, gelegentlich auch 4-2-3-1, mit einem klaren Fokus auf Raumkontrolle und schnellem Umschalten. Die Bilanz bei der WM war beeindruckend: 7 Spiele, 6 Siege, 1 Unentschieden und keine Niederlage.
Didier Deschamps formte eine Mannschaft mit Charakter, taktischer Reife, Disziplin, Athletik und Siegermentalität, die für Gegner extrem schwer zu bespielen war. Damit wurde er der dritte Fußballer in der Geschichte, der sowohl als Spieler als auch als Trainer Weltmeister wurde – neben Mario Zagallo und Franz Beckenbauer. Jedoch mit einem kleinen Unterschied: Während Zagallo bei seinem Triumph 1970 noch den Jules-Rimet-Pokal in die Höhe hob, gewannen Beckenbauer (1990) und Deschamps (2018) bereits den heutigen FIFA-Weltpokal – ein Detail, das Stoff für einen eigenen Artikel bietet.
Anmerkungen
1 WM: Weltmeisterschaft (FIFA).
2 „Scratch“ oder „Scratch du oro“: Spitzname der brasilianische Fußballnationalmannschaft wegen der höhen Leistungen ab den 1950er Jahren.
3 Jugoslawien: ehemaliges Land aus Ost-Europa.
4 Scudetto: Meistertitel der Serie A (italienische Liga).
5 EM: Europameisterschaft (FIFA).